IGOR DÖRGE

 

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Ausschnitte aus einer Stadtlandschaft

Ursula Herrndorf, Hamburg 2006

Igor Dörge interessiert sich für Gegenstände. Besonders für solche, die sonst im Stadtbild ein wenig prominentes Dasein fristen. Für Mülleimer, Gullydeckel oder die Rückseite von Straßenschildern. Und so wenig Beachtung der Passant diesen Dingen beimisst, umso mehr Beachtung finden sie in den Augen des Malers. Über mehrere Jahre hinweg hat er sich zum Beispiel mit dem Motiv des Müllbehälters befasst. Viele Bilder - große und kleine, Druckgrafiken, Zeichnungen und Ölgemälde - sind entstanden. Mehr oder weniger abstrahiert zeigen sie große Tonnen, altertümlich verzierte Blecheimer im Park oder funktionale Behältnisse am Straßenrand.

Ein Grund, warum Igor Dörge gerade Mülleimern solche Aufmerksamkeit zeigt, liegt vielleicht darin, dass sie ihm schon manches Fundstück beschert haben. Er erzählt: "Auf dem Weg zum Einkaufen sah ich in einem Mülleimer ein Telefon. Nach dem Einkauf lag es immer noch dort und wanderte in meine Tragetasche. Zu Hause wurde das Telefon zerlegt, das Gehäuse gewaschen und der Fehler mit etwas Lötzinn behoben. Nun sieht es fast wie neu aus und steht auf meinem Schreibtisch. Ich freue mich darüber und male den Mülleimer." Zum Dank, gewissermaßen.

Doch dann geht mit dem Sammler der Maler durch. Er malt das Behältnis nicht nur einmal, sondern viele Male. Zuerst noch recht realistisch. Die Farbe bleibt Gegenstandsfarbe und gibt in verschiedenen Nuancen Volumen an. Grau für den Mülleimer, Blau für die Plastiktüte. Und plötzlich scheint das Ding selbst immer unwichtiger zu werden. Der Hintergrund beginnt in einem lichten Fleckenmuster zu schillern und zu tanzen. Im nächsten Schritt entledigt sich der Maler der perspektivischen Darstellung und zeigt das Behältnis nur noch in seinen Umrissen. Getaucht in ein einheitliches dunkles Blau steht das Ding nunmehr für Form. Eine gänzlich neue, rätselhafte Form ist das, die das Auge auf Suche gehen lässt und ganz unterschiedliche Assoziationen ermöglicht. Das banale Behältnis hat dem Maler weit mehr offeriert, als nur ein Telefon.

Ganz ähnlich verfährt Igor Dörge auch mit anderen Gegenständen. Er zeichnet, malt und druckt, bis er das Motiv förmlich ausgebeutet hat. Mitunter erinnern diese Variationen in verschiedenen Farbklängen an Monets Kathedralen und Heuhaufen. Und der Vergleich mit dem Impressionismus ist vielleicht nicht mal falsch. Geht es doch Igor Dörge durchaus um die Stimmung in einer bestimmten Situation. Er sagt: „Über alle Gegenstände hinweg herrscht in jeder Motivsituation eine eigene Farbstimmung, die eher erfühlbar als unmittelbar sichtbar ist.“ Um dieser Stimmung Rechnung zu tragen, hat der Künstler eine Malweise entwickelt, die Abstraktion und Gegenständlichkeit miteinander vereint. Ein Fleckenmuster in kontrastreichen Farben bildet die Untermalung seiner Bilder. Darauf legt er lasierend einen einheitlichen Farbton. Die Flecken geraten so zu flirrenden Lichtpunkten. Auf diesen Bildgrund malt Dörge dann das Motiv. Die darunter liegenden Farbschichten schillern aber auch jetzt noch durch, geben dem Gegenstand Transparenz und Dynamik. Auf diese Weise macht Igor Dörge wohl den Gegenstand sichtbar, genauso aber auch, was die Wahrnehmung des Gegenstandes beeinflusst. Licht und Schatten nämlich, die Farben in seiner Umgebung oder auch Schmutz und Gebrauchsspuren. In seinen Arbeiten bildet Igor Dörge seine Lebenswirklichkeit ab. Ausschnitte aus einer Stadtlandschaft, die für ihn persönlich von Bedeutung sind. Dass diese Ausschnitte oftmals Dinge zeigen, die den Konsumfluss ironisch thematisieren, mag durchaus in der Absicht des Künstlers liegen.

 

zurück zurück zum Text von Petra Wilhelmy, 2011